Wenn meine Kundinnen (ja, meist sind es Frauen und davon die Unternehmerin) eines weitgehend gemeinsam haben, dann ist es ihre Stärke inmitten ihres Schwachseins.
Was wie ein Widerspruch klingt, ist für sie gelebte Realität. Und genau dies das Problem.
Doppelwandige Außenwirkung?
Da ist einerseits diese schwache, zarte, verletzliche Seite mit all den Erinnerungen und Geschichten ihres Lebens. Viele Selbstzweifel, Schmerzen und harte Lektionen, die die meisten Frauen durchmachen mussten und sie letztlich mehr oder weniger wachsen ließen.
Und dann die andere Seite der taffen Unternehmerin, Mutter ihrer Kinder, Tochter ihrer zu pflegenden Eltern, bester Freundin und all ihrer anderen Rollen, in denen es darauf ankommt, vielseitig, stark, selbstbewusst und präsent zu sein.
Beide Seiten – und viele weitere mehr – sind ein Teil von ihr und zeichnen ihre besondere Färbung aus. Dennoch sind bzw. werden sie bei vielen zunehmend problematisch. Denn das was sie tatsächlich sind und was sie selbst jedoch davon – gespiegelt durch ihre Außenwelt wahrnehmen – sind vollkommen unterschiedliche Welten.
Wer befindet sich schon zu jeder Zeit in der Mitte seiner selbst und kann gleichzeitig von außen wahrnehmen, wieso weshalb warum die Welt und ihre Menschen so ticken wie sie ticken?
Meist ziehen sie sich irgendeinen der heutzutage viel zu vielen öffentlichen Schuhe an und verursachen damit viele Fehlinterpretationen.
So zum Beispiel beim Thema:
„Ich, die selbstbewusste Unternehmerin“
Viele Unternehmerinnen, Coachs, Trainerinnen, Therapeutinnen, Lebensberaterinnen, Kartenlegerinnen u.v.m. sind als solche bereits sehr weit in ihrer Eigenreflektion und Selbstentwicklung. Sie wissen um ihre Stärken und Schwächen und haben die meisten ihrer Altlasten geheilt.
Was jedoch fast alle gemeinsam betrifft ist die falsche Außenwahrnehmung ihrer selbst in ihrem erweiterten Umfeld aus Facebook & Co.
Durch einige unausgesprochene jedoch stillschweigend geltende „to behaviors“ unserer modernen medialen Gesellschaft, erwarten das Umfeld und sie selbst in der Regel perfektes Glück.
Perfekt täuschende Fehlbilder
Als Lebensberaterinnen müssen sie außerdem weiten Abstand von ihren eigenen Befindlichkeiten und Gefühlen nehmen und sich distanziert reflektiert zeigen. Sobald sie sich „Social Media konform“ ein wenig menschlicher mit eigenen Schwächen präsentieren, nehmen die Kunden sie weniger ernst und die Kollegen sogleich therapierend zur Seite. Dies führt dazu, dass sie sich immer weniger persönlich mit ihren echten Themen zeigen, sondern stattdessen das perfekte Schauspiel inszenieren. Dies verstärkt den Eindruck all der vielen erfolgreichen glücklichen perfekten Coachs.
Eine wie ich finde hoch dramatische und gefährliche Entwicklung. Denn nicht wenige leben seit Jahren mit einer Depression, von der niemand weiß. Schließlich gilt es ja, glücklich und perfekt zu sein, um entsprechend erfolgreich zu wirken und Kunden anzuziehen.
Von dieser Spirale abgesehen geschieht jedoch noch etwas anderes, was bisher nur wenige verstanden haben und sich mangels Kenntnis diesen Phänomens noch schlechter fühlen.
Die eigenen „Freunde“, Kanalabonnenten und Mitleser ihrer Postings und Social Media-Aktivitäten deuten ihr vermeintlich selbstbewusstes Auftreten vollkommen falsch.
- „Die hat’s aber auch ständig nötig, alles öffentlich zu machen“
- „Kann sie denn gar nichts für sich behalten?“
- „Immer diese nervigen Selbstdarsteller“
- „Puh, dieses Selbstvertrauen möchte ich gern haben!“
- „Boah ey, das soll ich auch noch teilen? Damit die Tussi noch arroganter wird?“
und viele weitere äußeren Sprüche und innere Gedanken laufen da ab.
Das Umfeld weiß absolut nichts von der Qualität ihrer Arbeit und den vielen Herausforderungen, denen sie sich täglich – meist als Einzelkämpferin – stellen muss. Dass sie all das tun muss, weil sie sonst keine öffentliche Reputation bekommt, die heutzutage von jedem erfolgreichen Trainer und Coach vorausgesetzt wird, wissen die Leute nicht. Dass nicht jede von ihnen Spaß dabei hat, ständig selbst vor die Kamera zu springen und sich zu inszenieren oder wie viel Arbeit an sich dahinter steckt, das wissen sie auch nicht. Interessiert die Meisten natürlich auch nicht.
Wer stützt schon starke Frauen ohne Angebervorteil?
Und am Allerwenigsten haben sie auf dem Schirm, wie ultra ultra wichtig es wäre, Beiträge von Selbständigen zu liken, zu kommentieren und zu teilen, weil die Algorithmen von Facebook und Co derart beschissen aufgebaut sind, dass sie ohne Werbebudget nahezu keinerlei Reichweite mehr bekommen. Dass von ihren 100 oder 1.000 Freunden an doofen Tagen nur 3-4 und an guten Tagen 20-30 Menschen ihre Beiträge überhaupt angezeigt bekommen. Keiner achtet darauf, dass andere ebenso schlecht von ihr denken und ebenso wenig unterstützen. Dass ein Großteil ihres Umfeldes Fachkollegen mit der Angst vor Konkurrenz sind und schon allein deshalb nicht teilen. Und die allermeisten Menschen sowieso viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, so dass sie keinerlei Wahrnehmung für die Brisanz anderer Bedürfnisse haben.
Und die paar Wenigen, die auf Like-Quoten achten, denken meist:
„So wenig? Na die kann ja nicht gut sein!“
Ganz zu Schweigen von Uraltbewertungen wegen Baby- und anderer Pausen oder absolut untragbaren Facebook- und Googlerichtlinien, die einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden, welche ihrer Bewertungen öffentlich angezeigt werden und welche nicht!!
Unternehmerinnen der heutigen Zeit sind in einem Ausmaß an Fehlinterpretationen ausgeliefert, das einfach nicht mehr feierlich ist.
Ein Ausweg ist aktuell noch nicht in Sicht. Lediglich das zunehmende Bedürfnis, sich aus allem Social Media-Trubel zurückzuziehen und sich mit der frei werdenden Zeit jenen Dinge zu widmen, die Kraft und Freude geben und darauf zu vertrauen, dass die richtigen Kunden auch ohne all die zusätzlich nervenden Marktschreier doch noch auf natürliche Anziehungsweise zu ihr finden.
Unterstützt‘ Unternehmerinnen und überhaupt alle Selbständigen!
Nehmt niemals an, es wäre unnütz. Euer Like und Euer Teilen bricht Euch keinen Zacken aus der Stolzkrone. Oder? Aber es ist absolut relevant für elektrische Diktatoren.
Textquelle & Copyright: Tanja. Trotzdem
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Bildquelle: Pixabay
Dieser Artikel wurde schon am 26. April 2021 auf einer meiner alten Seiten veröffentlicht.