Immer wieder einmal spielt uns das Leben (oder wir selbst 🙂 ) ein Entscheidungs- oder Lebensdilemma vor die Alltagslinse und wir kommen in die Herausforderung, uns zwischen A und B entscheiden zu müssen.
In der Liebe kann es sich um die Frage
- „Weiter versuchen, abwarten oder loslassen?“ in verhärteten Beziehungsphasen
- Bauen oder Kaufen bei neuem Platzbedarf und vielen weiteren Dilemmas handeln.
Im Berufskontext kann es sich um Entscheidungen wie
- Arbeits- oder Familienzeit erhöhen?
- „Projekt so oder anders?“
- „Zuhause bei den Kindern bleiben oder arbeiten/Stunden erhöhen?“;
- „Selbständig machen oder im sicheren Hafen bleiben?“
- Der dringend notwendige Businesstermin oder die Beerdigung?
und vieles mehr drehen.
Das Problem an unseren alltäglichen Dilemmas ist meistens, dass wir deren Auswirkungen selten allein aushalten müssen, sondern fast immer andere Menschen mitbetroffen sind und unsere eigenen Werte und Prioritäten gehörig durcheinander bringen.
Deshalb fällt es den meisten Menschen so schwer, „einfach nur auf die Herzstimme zu hören“. Es gibt immer weitere verkomplizierende Denkbremsen.
Ich möchte Dir zunächst ein eigenes persönliches Beispiel erzählen und im Anschluss Möglichkeiten aufzeigen, wie Du bei einer ähnlichen Herausforderung vorgehen kannst.
Wenn Dich meine Story nicht interessiert, kannst Du direkt runter blättern.
Lebensdilemma Beruf oder Berufung
In meinem Fall ging es wie bei den meisten anderen Menschen auch, nicht nur um eine Frage, sondern um eine ganze Sammlung an Mitbetroffenheiten.
Als mir aufgrund des Wegfalls eines Kostenträgers in einer der Jugendmaßnahmen meiner Arbeit als Sozialpädagogische Lehrkraft erst die Kündigung und kurz danach eine neue Minibefristung von wenigen Monaten angeboten wurde, fühlte ich mich doof. Ratlos und gefangen in einer sehr vertrauten Dauerschleife.
Hatte ich nun all die Jahre so hart gekämpft, um schließlich auch diesen tollsten aller bisherigen Jobs, der mir zuvor so wunderbar aufs Tablett serviert worden war, wieder zu verlieren? Das würde meinen Lebenslauf endgültig verhauen und mir kein Mensch mehr abnehmen.
Ich bekam doch so schönes Feedback von meinen Jugendlichen, dass sie sich endlich mal verstanden fühlten und sah wieviel Selbstvertrauen sie bei mir gewannen. Auch mit Kollegen und Chef verstand ich mich super.
Im Bildungssektor geht es leider nicht um Sympathien, Charakter und Arbeitsweisen, sondern um die Geldgeber hinter all den tollen Projekten. Und wenn diese großflächig streichen oder andere Abschlüsse fordern, sind die Arbeitgeber gezwungen, auch das beste Personal frei zu setzen. Tausende wirklich guter Kräfte werden mit Befristungsverträgen hin- und hergeschubbst.
Aber gut, mein Arbeitgeber gehörte glücklicherweise nicht dazu und bot mir dann eben doch noch die erste freigewordene Stelle an, die das Leben auf natürliche Weise ergab. Die Übernahme einer Maßnahme, weil meine federnführende Kollegin gekündigt hatte. Die Chance, für die ich mich jahrelang fortgebildet hatte. Jedoch auch wieder nur bis Maßnahmenende, weitere 5 Monate. Keine Chance weiterer Übernahme, weil mein Abschluss dem Träger nicht reichte und er mich nur als Notlösung akzeptierte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich aber aufgrund der ersten Kündigung schon seit Wochen arrangiert und mittlerweile mit der neuen Selbständigkeit angefreundet. Nebenbei tief beeindruckt, dass ich mir genau das („NIIIEEE mehr Arbeit“) Anfang des Jahres noch als Ziel in meinen Jahresplaner geschrieben hatte. Fest im Vertrauen, dass ich bald endlich wieder die Zeit für meine eigene selbständige Coaching- und Beratungstätigkeit, meine digitalen Kurse sowie dem Schreiben meiner geplanten Bücher hätte.
Als am Tage meiner Kündigung die Frage eines Verlages einflog, ob ich mir vorstellen könnte, eines zu schreiben, schien die gute Fügung perfekt. War ja nicht einmal der erste Verlag.
Doch als Mutter von Kindern, die zeitbedingt eh immer zu kurz kommen, habe ich als Selbständige nicht den Rahmen einer Vollzeitarbeit, geschweige denn für nächtliches Durcharbeiten.
Mir bleibt also schon nur für das Reinarbeiten der erforderlichen Sozialversicherung wesentlich weniger Zeit. Die dann auch noch mit dem Schreiben zu teilen, gleicht einer nahezu wahnsinnigen Wette mit der Zukunft.
Willkommen in meinem Dilemma.
Sollte ich nun ins kalte Wasser springen, weil ich letztlich eh unserem Titelstaat zum Opfer fiel oder die schöne Herausforderung annehmen und meinen Lebenslauf zumindest für diese paar Monate strecken, falls die Selbständigkeit nämlich doch kein Dauerzustand bleiben dürfte?
Und was wäre nach Abschluss der Maßnahme; sollte ich nicht besser trotzdem wieder einen festen Job suchen, der auch für unsere etwaigen Pläne, ein Haus mit Praxisraum zu bauen, den Banken sympathischer wäre?
Verdammt! Egal wie ich es betrachtete, hatte eben alles wirklich gute Argumente.
Zumal ich mittlerweile an einem Punkt in meinem Leben war, an dem mir ja alles Spaß machte. Damit war auch die Herzblutfrage schwieriger geworden.
Dilemma-Strategien
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, ein Dilemma anzugehen. Der alte Klassiker wäre eine
Plus-Minus-Liste
Diese ist nur auf dem ersten Blick langweilig und unnütz. Tatsächlich macht sie absolut Sinn, weil sie uns hilft, uns alle Vor- und Nachteile bewusst zu machen. Erst in einer schriftlichen Aufstellung aller wichtigen Aspekte erkennen wir bisher übersehene Prioritäten.
Manchmal ist das schon ausreichend.
Unterstützen kann man eine solche Aufstellung mit einem Scoringverfahren.
Plus-Minus-Liste mit Scoring
Dazu jedem Aspekt eine Gewichtung geben ( von 1-3 oder 1-10 je nachdem, ob es sich um viele komplizierte Sachverhalte oder ein einfacheres Alltagsdilemma handelt) und in eine Tabelle eintragen. An meinem eigenen Beispiel etwa so
- Spaß am Tun Faktor 3
- Zeitersparnis ohne Autofahrt Faktor 1
- Mehr Projektfäden in der Hand Faktor 2
- Nebenbei schöne Familienleckereien zubereiten Faktor 2
- Lebenslaufschlüssigkeit sicherstellen 1,5
- Lebensaufgabe erfüllen Faktor 3
- Tiere bleiben nicht allein Faktor 1,5
- Für Familie besser Faktor 2 (bei verschiedenen Meinungen wichtiger Bezugspersonen/Kollegen etc. unbedingt aufdröseln wenn solche Stimmen bei Dir eine Relevanz haben!)
- Kollegenkontakt Faktor 1,5
- Soziale Absicherung, Urlaub, Krankheit Faktor 3
- Feste Arbeitszeiten und Feierabend Faktor 2
- Zeitfenster für Sport flexibler Faktor 3
- Etc.
Wichtig ist, Deinen zuvor definierten Vor- und Nachteilen zuerst Deine persönliche Gewichtung zuzuordnen. Danach überträgst Du die Einzelaspekte mit ihren Faktoren der besseren Übersichtlichkeit halber spaltenweise nebeneinander in eine Tabelle. Die zur Frage stehenden Entscheidungen jeweils Zeile für Zeile darunter.
Dann machst Du einen Haken oder Kreuz in jedes Feld, das auf die jeweilige Entscheidung Deines Dilemmas zutrifft und addierst zum Schluss die Faktorpunkte. Jener Weg mit der höheren Punktzahl wäre demnach der vorzuziehende.
Sehr ernst zu nehmen, sind hierbei Deine eigenen Befindlichkeiten während des Tuns. Denn meistens zieht unser Herz bereits deutlich in eine Richtung. Wenn Du beim Erstellen Deiner Liste oder der Tabelle mit dem Verstand vorgehst, aber über verschiedene Ergebnisse glücklicher oder trauriger wirst oder aber auch bemerkst, dass Du manche Aspekte großzügiger lenkst, ist das eine der wichtigsten Antworten überhaupt.
Denn unser Herz kennt und zeigt den Weg immer!
Tetralemma
Eine weitere Möglichkeit, Dich Deinem Dilemma zu stellen ist das Tetralemma.
Die spirituellen Leser können folgende Beschreibung verdeckt anwenden. Verdecktes Arbeiten hat zudem den Vorteil, nicht auf unseren richtenden und brabbelnden Verstand setzen zu können. Ohne der Logik unseres Egos können wir wesentlich besser Gefühle, Stimmen unseres Herzens und andere Inspirationen, Nebengeräusche etc. wahrnehmen.
Das Tetralemma ist etwas, das ich mit meinen Kunden sehr gerne anwende.
Die Ausgestaltung kann im ganzen Raum, auf dem Tisch, mit Platzhaltersymbolen oder einfach auf Papier geschehen.
Wenn Du keine Erfahrung in systemischer Arbeit und keine Begleitung zur Verfügung hast, empfehle ich die einfache Papierform mitten im Raum.
Schreibe jedes Deiner Dilemmatas auf ein Blatt Papier und weiteres wie folgt:
- Plan A
- Plan B
- (Plan C und weitere ebenfalls extra)
- Beide (alle) gemeinsam
- Keines davon
- Vollkommen andere Lösung
Die letzteren Beiden sind nur auf dem ersten Blick identisch. Das sind sie aber nicht.
Denn „keines davon“ ist wortwörtlich zu verstehen, dass einfach keine der genannten Optionen die Richtige ist, was auf eine weitere zu findende Option deutet, ein Verändern der Bedingungen oder der jeweiligen Ausgestaltung der vorhandenen Optionen.
Eine „vollkommen andere Lösung“ spricht eher dafür, dass noch etwas völlig Anderes geschehen muss, dass das gesamte Dilemma aufhebt oder verändert. Je nachdem wie Du mit dem Tetralemma arbeitest, kann „auf“ dem Blatt (mehr dazu gleich) entsprechende Antworten/Ideen kommen. Oftmals bedeutet es jedoch auch „falscher Zeitpunkt/abwarten“.
Vorgehen beim Tetralemma
Wenn Du Deine Blätter entsprechend beschriftet hast, legst Du die ersten Vier (A, B, Beides, Keines) so auf den Fußboden, als ob sie an den Enden eines Kreuzes liegen würden. ‚A‘ und ‚B‘ gegenüber, ‚Beides‘ und ‚Keines‘ ebenso. ‚Vollkommen andere Lösung‘ außerhalb des Kreuzes an einen anderen Platz (ganz nach Gefühl).
Falls Du die verdeckte Variante wählst, gehst Du vollkommen intuitiv vor und legst die Blätter komplett verdeckt und dann in einer freien Anordnung auf.
Nun stellst Du Dich nacheinander auf die jeweiligen Positionen und achtest auf alle Wahrnehmungen (Gedanken, Gefühle, Bilder, Ideen, Erinnerungen, Geräusche, Körperliches Spüren, Gerüche, Ablenkungen). Es hilft auch, Dich gedanklich intensiv auf das jeweilige Thema des Blattes einzustimmen nach dem Motto:
„Ok, Option A tatsächlich gewählt, würde bedeuten, dass ich in 3 Monaten folgendes tue, höre, sage, rieche, schmecke, fühle, denke …“.
Lass‘ Dir auf jeder Position Zeit und bevor Du sie verlässt, fühle sie noch einmal in Bezug zu den jeweils anderen, die Du dann aufgegeben/verändert hast.
Bevor Du Dich auf den nächsten Posten stellst, gehe erst einmal auf eine neutrale Position, so als ob Du Dich von den Eindrücken eben erst reinigen müsstest, um anschließend wieder unbefangen die nächste Option zu testen.
Absolut empfehlenswert ist das Aufschreiben aller Eindrücke.
Wenn Du alle Positionen durch hast und das Bedürfnis spürst, einzelne davon noch einmal zu vergleichen, kannst Du natürlich mehrfach rauf und runtergehen.
Falls Du Dich an einer Position größer, stärker, kleiner, schwächer fühlst oder unterschiedliche Stehstabilitäten wahrnimmst, ist das erstens völlig normal und zweitens Teil der Aufgabe.
Hier geht es gezielt darum, mehr als nur durch den Verstand zu erkennen.
Bei einer solchen Tetralemma-Aufstellung (auch Bodenanker ohne Personen sind eine systemische Aufstellungsvariante) finden die meisten Menschen zu neuen Erkenntnissen und damit auch zu einer Entscheidung.
Was wäre wenn-Theater
Ähnlich wie oben schon beschrieben, hilft auch mein „Was wäre wenn?„-Spiel.
Versuche einen Zeitpunkt X in der Zukunft zu wählen, an dem Deine jeweilige Entscheidung bereits umgesetzt wäre. Gehe mit all Deinen Sinnen in diese Vorstellung. Was würdest Du sehen, sagen, hören, riechen, schmecken, fühlen und wie würden sich Deine wichtigsten Bezugspersonen verhalten?
Wer wärst Du bei Erfüllung von Plan A, B, …?
Wie hätte sich Dein Leben verändert und auf welche Weise hättest Du es bis zu diesem Punkt geschafft?
Ganz wichtig in dieser Dilemmalösungstechnik sind auch die jeweiligen
Worst Case-Szenarien.
Denn diese sind ja meistens die wahren Bremsen unserer Entscheidungsrätsel und die Ursachen unserer Handlungsstarre.
Was wäre also – ziehe das auch einmal voll und ganz mit allen Sinnen, Bildern, Gedanken und Gefühlen in Betracht – wenn Du volle Kanne auf den Bauch fielst, scheiterst, den Partner verlierst, was auch immer Deine Sorge ist?
Nicht selten wird einem erst mit dem bewusst erlaubtem Auseinandersetzen des möglichen Horrorszenarios bewusst, dass es gar nicht so schrecklich wäre, als uns die zum Fliehen anregende Angst gerne weis macht.
Dann nämlich merken wir, dass wir im schlimmsten Fall weder unser Wohnen oder Leben einbüßen müssten, sondern lediglich die eine oder andere untragische Komfortzone.
Darüber hinaus hilft das Auseinandersetzen mit unseren kritischen Stimmen der Vorbeugung des echten Risikos. Denn erst wenn ich mich tatsächlich mit möglichen Risiken auseinandersetze, kann ich Vorbeugungen treffen, sie zu vermeiden und damit mein Vorhaben überhaupt erst auf realistische Füße stellen.
Fast alle erfolgreichen Menschen wenden das in der einen oder anderen Form an. So kann man sich mit der
Disney-Methode
beispielsweise auf die 3 verschiedenen Stühle
- Träumer
- Realist
- Kritiker
setzen und zu sehr komplex bedachten Lösungen kommen. Aber das gehört nun bereits wieder zu einem eigenen Thema ☺.
Ich hoffe, dass ich Dir mit diesen Vorgehensweisen ein paar nützliche Anregungen geben konnte.
Schreibe gern in die Kommentare von Deinen Dilemmas und welche Erfahrungen Du mit welchen Herangehensweisen schon machen konntest.
Wenn Du merkst, dass Du an einer Grenze stehst, die Du im Moment nicht selbst überwunden kriegst, kannst Du mich gern (oder einen Coach Deiner Nähe und Deines Vertrauens) für eine gemeinsame Sitzung oder Ursachenfindung buchen.
Manchmal gibt es zunächst andere Blockaden wie hinderliche Glaubenssätze, negative Erfahrungen oder mangelndes Vertrauen, zu lösen. Und manch einer lässt sich in einem solchen Prozess einfach gern anleiten, um sich voll und ganz einlassen zu können.
Herzliche Grüße aus dem wunderschönen endlich wieder sonnigen Chiemgau
Tanja – Coach für Menschen und Unternehmen an der Wand.
Textquelle & Copyright: Tanja. Trotzdem
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Dieser Artikel wurde schon am 23. Juni 2020 auf einer meiner alten Seiten veröffentlicht.